Außerbetriebnahme der Spessartrampe Laufach – Heigenbrücken
Über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten wurde ein Ersatz der stark befahrenen Spessartrampe zwischen Laufach und Heigenbrücken durch eine Neubaustrecke mit geringerer Steigung und überwiegendem Verlauf in der Ebene diskutiert. 2006 entschied letztlich das Bundesverkehrsministerium die komplette Neutrassierung zwischen Laufach und Heigenbrücken. Die Bauarbeiten begannen nach erfolgter Ausschreibung im Juli 2013. Weitere Einzelheiten zur Spessartrampe sowie zum Neubauprojekt finden sich bei Wikipedia oder auf weiteren einschlägigen Internetseiten.
Nach knapp vierjähriger Bauzeit sollte die Spessartrampe am 15. Juni 2017, 12:00 Uhr, außer Betrieb genommen werden. Bis etwa 12:00 Uhr sollte dabei normaler Betrieb stattfinden, während Mittag, Nachmittag und die folgenden Tage für die Bauarbeiter reserviert waren.
Dieser Tag war jedoch nicht nur zufällig ausgewählt, denn auf ihn entfiel in diesem Jahr Fronleichnam, welcher in Bayern ein landesweiter Feiertag ist. Dies ermöglichte die Freisetzung von dreieinhalb Tagen (Donnerstagnachmittag, Freitag, Samstag und Sonntag) zur Fertigstellung der Anbindung der Neubaustrecke an die Bestandstrassen in Laufach bzw. Heigenbrücken.
Nachfolgend finden sich sowohl ein Bericht von diesem Tag, der die Ereignisse aus persönlicher Sicht in chronologischer Reihenfolge aufführt, sowie Vergleichsaufnahmen der Zustände vor und nach der Außerbetriebnahme.
Ein subjektiver Erlebnisbericht
Am Dienstag und Mittwoch, dem 13. bzw. 14. Juni 2017, schien es, als würde sämtlicher Güterverkehr in Richtung Süddeutschland über die Strecke geleitet, um den Fotografen die Möglichkeit für zahlreiche Aufnahmen zu geben. So beschreiben jedenfalls einige der am letzten Betriebstag anwesenden Fotografen ihre Eindrücke. Gleichzeitig wurden nahezu alle DB-Güterzüge nachgeschoben, auch wenn dies nicht immer betrieblich notwendig war. Auch am letzten Betriebstag wurde dies noch so gehandhabt. Der hohe Schiebebetrieb führte dazu, dass das Ausweichgleis in Heigenbrücken West, welches die Schiebeloks vor einer Rückkehr nach Laufach als Wartegleis nutzen konnten, fast täglich genutzt wurde. In den gesamten Betriebsjahren zuvor kam dies oft nur zwei- bis dreimal im Monat vor.
Gleichzeitig berichtete die Lokalpresse, dass der 14. Juni 2017 der endgültig letzte Betriebstag der Spessartrampe sei. Diese Meinung hielt sich auch bei zahlreichen Eisenbahnfreunden hartnäckig, obwohl die Baustelleninformationen sowie die Informationsmedien der Deutschen Bahn AG entsprechend Gegenteiliges verlautbarten. Dies führte dazu, dass Dienstag und Mittwoch vor Fronleichnam zeitweise bis zu 50 Fotografen an einem der einschlägigen Fotopunkte versammelt waren, wie andere Fotografen am Tag der Außerbetriebnahme berichten. Dagegen war am letzten Betriebstag der Andrang vergleichsweise gering. Insbesondere verteilten sich die Anwesenden hierbei großzügiger auf die Gesamtlänge des betroffenen Streckenabschnitts.
Auf den folgenden Fotos ist es oft nur erkennbar, wenn man es weiß: Zahlreiche Lokführer, die an diesem Tag ebenfalls letztmals in ihrer Laufbahn die Spessartrampe befuhren, hatten eine Kamera auf dem Beimannplatz oder dem Führerpult positioniert, um die letzte Fahrt zu dokumentieren – völlig gleich, ob bergauf oder bergab. Viele der Lok- und Zugpersonale grüßten die an der Strecke und auf den Bahnhöfen stehenden Fotografen und Schaulustigen mit optischen und akustischen Signalen, sodass stellenweise beinahe so etwas wie Volksfeststimmung aufkam.
Die nachfolgende Beschreibung schildert den letzten Betriebstag an der Strecke und ist eher als Erzählung denn als amtsnüchterner Bericht zu sehen. Zur Veranschaulichung sind einige der an diesem Tag entstandenen Fotos eingebunden. Hierbei steht jedoch ausschließlich der dokumentarische Zweck im Vordergrund. Die Aufnahmen lassen sich durch Anklicken vergrößern.
Der Tag beginnt um 04:50 Uhr in Aschaffenburg Hbf. Die Fahrt soll mit dem ersten Zug des Tages, RE 4591 von Aschaffenburg Hbf nach Würzburg Hbf, nach Laufach führen. Von dort soll eine Wanderung entlang der Strecke bis Heigenbrücken erfolgen, wo schließlich der letzten Zugfahrten auf der Strecke beigewohnt werden soll.
RE 4591 steht schon bereit, allerdings nicht – wie vorgesehen – auf Gleis 7, sondern auf dem Hausbahnsteig, Gleis 2. Auf Gleis 1 wartet bereits die Garnitur für RE 4593 nach Bamberg, welcher etwa eine Stunde später nach RE 4591 abfahren und dessen Rückleistung der letzte, in Heigenbrücken haltende Personenzug sein wird. Die Zeit bis zur Abfahrt müssen die wenigen Reisenden an diesem Morgen auf dem Bahnsteig verbringen – u. a. auch deshalb, weil der Lokführer noch mit Vorbereitungsarbeiten beschäftigt ist und infolgedessen die Türen noch verriegelt sind. Aus Richtung Würzburg Hbf kommend fährt wenige Minuten später eine verkehrsrote 120 – später sollte sie sich als 120 204 erweisen – mit einer Reihe Wagen des Charterdienstleisters Bahntouristik-Express den Bahnhof in Richtung Hanau Hbf. Im Blockabstand danach, etwa gegen 04:55 Uhr, rollt eine ÖBB-Lok der Baureihe 1116 mit dem verspäteten EN 490 von Wien Hbf nach Düsseldorf Hbf (mit Kurswagen aus Innsbruck Hbf) durch den Bahnhof. Planmäßige Abfahrt in Würzburg Hbf wäre bereits um 03:19 Uhr gewesen; dies führt zu einer Verspätung von etwa 50 Minuten. Um 05:01 Uhr schließlich verlässt RE 4591, geschoben von 146 242, pünktlich den Aschaffenburger Bahnhof.
Zunächst führt der Weg jedoch entgegen der eigentlichen Richtung an die Aschaffenburger Einfahrt. Hier sollte ICE 827 von Köln Hbf nach München Hbf aufgenommen werden, der trotz Feiertag – jedoch nicht in Nordrhein-Westfalen! – verkehren sollte. Doch der Zug war an diesem Tag 90 Minuten verspätet.
Die Schiebeloks waren stets an der westlichen Ausfahrt des Laufacher Bahnhofs abgestellt. Hier befand sich auch ein kleiner Aufenthaltsraum für die Lokführer.
Die Außerbetriebsetzung der Spessartrampe mit anschließender Vollsperrung der Strecke zwischen Aschaffenburg Hbf und Lohr (Main) bzw. Partenstein führte dazu, dass sich einige Umläufe änderten und vereinzelt Sonderleistungen gefahren wurden, um am folgenden Werktag ab Aschaffenburg Hbf bzw. Frankfurt (Main) Hbf die benötigten Fahrzeuge zur Verfügung zu haben.
Nachdem abzusehen war, dass der eigentlich an dieser Stelle gewünschte ICE 827 so schnell nicht kommen würde, führte die Wanderung – vorbei am Laufacher Bahnhof – nach Laufach-Hain. Hierbei wurden die im Rahmen der Bauarbeiten verbreiterten und teilweise neu angelegten Feldwirtschaftswege genutzt.
Die Infrastruktur der Altbaustrecke wurde Anfang 2017 zum Teil bereits an einen Schrotthändler verkauft, der auch den Abbau übernehmen sollte. Die Gemeinde Laufach hat einen Teil des Streckenabschnitts zwischen Laufach und dem Schwarzkopftunnel erworben und will diesen für touristische Zwecke nutzen. Hierbei sollen einige Infrastrukturelemente wie Signale und Oberleitungsmasten erhalten bleiben. Aus diesem Grund wurden die zu erhaltenden Teile mit einem gelbgrünen „X“ markiert, während die abzubauenden Teile mit einem blauen „X“ markiert wurden (siehe auch die erste Aufnahme der beiden Schubloks in Laufach).
Nach einem weiteren Fußmarsch durch die noch angenehm kühle Morgenluft taucht gegen 06:35 Uhr – weniger als fünfeinhalb Stunden bis zur Stilllegung – das ehemalige Blockwärterhaus Hain hinter den mit dichtem Laub behangenen Bäumen auf. Eine Handvoll anderer Fotografen hat sich hier ebenfalls aufgestellt. An dieser Stelle sollten der bergab fahrende IC 2028 nach Kiel Hbf und der bergwärts fahrende ICE 21 nach Wien Hbf aufgenommen werden. Bereits auf dem Weg zu diesem Punkt konnte ein verspäteter ICE durch die Bäume auf seiner Fahrt Richtung Würzburg Hbf erspähen.
Wenige Augenblicke später kündigte sich bereits ein weiterer bergwärts fahrender Zug an.
In der folgenden Zugpause wird hektisch telefoniert – eine außerplanmäßige Schubleistung stehe in Kürze an. Der Zug sei bereits kurz vor Aschaffenburg und habe freie Fahrt bis Laufach. 151 012, so heißt es, stehe bereits fertig vorbereitet in Laufach und warte auf die Ankunft.
Wenige Minuten später klingelt erneut das Handy eines der Anwesenden: Der bereits erwähnte Zug habe gerade Laufach verlassen und die letzte planmäßige Schubleistung sei bereits in Stockstadt (Main) – ein voller Kesselwagenzug, mit grüner Welle bis Laufach.
Die Schublok wurde mit einem Plakat versehen, das auf die bevorstehende Stilllegung der Strecke hinweist.
Während 151 012 in Heigenbrücken West auf die Rückkehr ins Tal wartet, kündigt sich aus Richtung Laufach bereits der nächste bergwärts fahrende Zug an. Diese sollte eine besondere sein, die auch auf der Spessartstrecke nie alltäglich war.
Alle Anwesenden warten gespannt auf die Rückkehr der Schublok nach Laufach, doch die wurde in Heigenbrücken West erst einmal „auf den Rand“ genommen, um nachfolgende Züge passieren zu lassen. In der so entstehenden Zugpause wird lebhaft über den Sinn und Unsinn der Neubaustrecke diskutiert. Einer der anwesenden Fotografen erfährt dabei zu seinem Erstaunen, dass am heutigen Tag bereits um 12:00 Uhr mittags Schluss sein wird mit dem Betrieb auf der Rampe – und zwar für immer. Er sei davon ausgegangen, dass er noch bis Sonntag den Betrieb erleben und dokumentieren könne, meint er. Damit steht er sinnbildlich für einen Großteil der Eisenbahnfreunde in der letzten Betriebswoche: Einige waren der Meinung, dass bereits in der Nacht vom 14. auf den 15. Juni die Stilllegung ansteht, wiederum andere wollten noch bis in die Abendstunden des 15. Juni fotografieren, weil sie die Sperrung erst für den späteren Abend bzw. die frühen Nachtstunden erwartet hatten.
Weiterhin weiß einer der Anwesenden mit guten Kontakten zu den Laufacher Lokführern und Fahrdienstleitern von einem besonderen „Event“, das eigentlich nur "intern" und inoffiziell ablaufen soll: Nach der letzten Schubleistung sollen die beiden Loks noch einmal den Bahnhof Heigenbrücken West anfahren, wo die Lokführer eine kleine Aktion geplant hätten. Anschließend solle es wieder zurück nach Laufach gehen, wo ein internes Abschiedsgrillen nach erfolgter Streckensperrung mit den Lokführern und der diensthabenden Fahrdienstleiterin stattfinden werde. Hierauf wird in den nachfolgenden Abschnitten noch einmal Bezug genommen.
Und ein weiterer der Anwesenden stand bereits um 04:00 Uhr am Westportal des Schwarzkopftunnels und konnte so gegen 04:45 Uhr auch eine Aufnahme von 120 204 – die wenig später den Aschaffenburger Hauptbahnhof passierte (siehe oben) – anfertigen.
Einige der hier wartenden Fotografen sind bereits seit Beginn der Woche hier und haben sich extra Urlaub genommen. Zeitweise sollen bis zu 50 Leute auf engstem Raum auf die letzten Züge gewartet haben, erzählt man sich. Es sollen wohl auch Gäste aus der Schweiz und sogar aus China darunter gewesen sein. Möglicherweise findet sich dann in naher Zukunft eine originalgetreue Nachbildung der Spessartrampe mitsamt Schubbetrieb in einem der zahlreichen chinesischen Ausstellungs- und Erlebnisparks.
Nach der Durchfart des Zuges kehrt wieder Ruhe in die die Strecke umgebenden Erhebungen des Spessarts ein. Diese hält jedoch nicht lange an.
Die Wanderung führt nun weiter in Richtung Schwarzkopftunnel. Hier sollen die verbleibenden Schubleistungen aufgenommen werden in der Hoffnung, vielleicht noch eine Einfahrt in das Ausweichgleis im Betriebsbahnhof Heigenbrücken West dokumentieren zu können.
Auch nach hier oben hatte sich bereits die Kunde verbreitet, dass ein Kesselwagenzug auf dem Weg in Richtung Laufach ist, um ab dort mit Schubunterstützung die Rampe hinauf und weiter Richtung Süden zu fahren. Um 08:17 Uhr ist das charakteristische Heulen arbeitender Drehstrommotoren aus Richtung Tal zu vernehmen, begleitet vom typischen donnerähnlichen Grollen eines schweren Güterzuges. Durch die Feiertagsruhe und dank der umliegenden Waldgebiete wird die Geräuschkulisse nur noch verstärkt und so scheint der Zug bereits näher zu sein, als er tatsächlich ist.
Dieser Kesselwagenzug stellte die letzte betrieblich notwendige Schubleistung über die Spessartrampe dar. Doch das engagierte Laufacher Lok- und Stationspersonal wird noch eine weitere Schubleistung fahren.
Zuvor geht es mit den Schubloks jedoch noch einmal auf das Ausweichgleis in Heigenbrücken West. Betrieblich wäre dies nicht notwendig gewesen, die Zeit hätte für eine Rückkehr der Loks nach Laufach bis zur Durchfahrt der nächsten Personenzüge ausgereicht.
Nun müssen die beiden Loks auf je einen ICE und einen RE pro Richtung warten, bis die Rückfahrt nach Laufach angetreten werden kann. Die Zeit nutzt das Personal der beiden Loks für eine kurze Frühstückspause und ein paar wenige Erinnerungsaufnahmen. Auch einige der anwesenden Fotografen begutachten die schweren Sechsachser aus nächster Nähe. Einer von ihnen stellt korrekt fest: „In knapp dreieinhalb Stunden ist das alles vorbei.“.
Dem RE direkt auf dem Fuße – so will es der Fahrplan – folgt der nächste Zug in Richtung Heigenbrücken.
Nachdem der talwärts fahrende ICE und RE bereits einige Minuten zuvor die Strecke geräumt haben, können auch die beiden Schubloks das Ausweichgleis verlassen und auf das Streckengleis Richtung Heigenbrücken vorziehen.
Nachdem die beiden Schubloks längst wieder in Laufach angekommen sind, wechselt um 08:41 Uhr das Ausfahrsignal in Richtung Laufach erneut in die Fahrtstellung. Ein Personenzug ist jedoch nach Fahrplan um diese Zeit nicht zu erwarten.
Da der Güter- und Personenverkehr nun eine kurze Pause versprach, wurde das Umfeld und die Situation um die Abraumhalde am Schwarzkopftunnel an diesem besonderen Tag etwas näher dokumentiert.
Für die nun folgenden Züge soll ein anderer Standpunkt aufgesucht werden, der auch wegen der Schatten spendenden Bäume ein wenig Schutz vor der schwülen Luft bieten soll.
Nun folgen die Züge erneut Schlag auf Schlag in beide Richtungen, der nächste Taktknoten im Regional- und Fernverkehr steht an.
Doch dann beginnt endgültig der vorvorletzte Personenverkehrstaktknoten. Aus Richtung des Tunnels ist gegen 09:21 Uhr deutlich zu vernehmen, wie ein Zug die Weichen des Heigenbrückener Bahnhofs überfährt.
Kaum hat der Zug den Betriebsbahnhof passiert, ist es für kurze Zeit wieder still im umgebenden Wald.
Nach dem nun noch folgenden ICE Richtung Würzburg Hbf, der nicht fotografisch festgehalten wurde, soll eigentlich die letzte Schubleistung folgen. Gegen 09:40 Uhr hallt aus dem Tal heraus auch deutlich das Geräusch einer schwer arbeitenden Maschine hinauf und wird stetig lauter.
Seitens der Fahrdienstleiter hat man offenbar nicht damit gerechnet, dass dieser Zug in der Steigung so langsam werden wird – oder es wurde aufgrund der nicht betrieblich notwendigen Schubleistung bewusst so gehandhabt: Kurz nach der Durchfahrt dieses Zuges in Laufach geht 185 162 mit 151 164 und 151 012 als Schubunterstützung am Schluss auf die Strecke Richtung Heigenbrücken. Der vergleichsweise kurze Zug hätte jedoch keine Schubhilfe nötig gehabt. Aufgrund der sich bergan kämpfenden V180.07 kommt er in der Steigung sogar kurz vor einem roten Signal am ehemaligen Block Hain zum Halten – bei einer „echten“, betrieblich notwendigen Schubleistung wäre man bestrebt gewesen, dies unbedingt zu vermeiden. Ein Anfahren mit einem schweren Güterzug in der Steigung hätte trotz Schubunterstützung auch bei trockenem Wetter problematisch sein und den Betrieb behindern können. Da es sich bei dem erwähnten Güterzug bzw. seiner Schubunterstützung jedoch um eine „ehrenamtliche“ Aktion der Schiebelokführer handelt, gelingt die Anfahrt in der Steigung problemlos.
Dem aufmerksamen Beobachter ist sicherlich nicht entgangen, dass die Loks in Laufach gegenüber der vorherigen Schubleistung umgehängt wurden, sodass nun 151 164 zum nachgeschobenen Zug hin steht.
Die soeben erfolgreich abgeschlossene Schubleistung ist damit zugleich die letzte auf der Rampe. Bis zur Außerbetriebsetzung des Streckenabschnitts verbleiben noch etwa zweieinviertel Stunden.
Für die Schubloks geht es diesmal jedoch nicht in das seitliche Ausweichgleis. Stattdessen soll direkt nach der Ankunft in Heigenbrücken West die Rückfahrt ins Tal erfolgen. Und so kommen die beiden Loks noch einmal am Zwischensignal vor dem Portal des Schwarzkopftunnels zum Stehen, wo sie direkt von den zahlreich anwesenden Fotografen umringt werden.
Der letzte Programmpunkt der Wanderung sieht am Schwarzkopftunnel die Dokumentation des „Freizeitexpress’ Frankenland“ von Frankfurt (Main) Hbf nach Bamberg vor. Dieser Zug wird üblicherweise mit einer 111 an der Zugspitze und einer gleichen Lok am Zugschluss bespannt und fährt ab Gemünden (Main) auf dem direkten Weg nach Schweinfurt Hbf, wodurch der Halt in Würzburg Hbf entfällt.
Nach der Durchfart des Güterzuges suchen sich die Fotografen für den schon bald nahenden „Freizeitexpress Frankenland“ einen passenden Platz, was sich aufgrund der Vielzahl der Personen und der gebotenen räumlichen Enge nicht gerade einfach gestaltet.
Unmittelbar nach Durchfahrt des Zuges geht die Wanderung weiter in Richtung Heigenbrückener Bahnhof. Hierbei wird bewusst die noch folgende Abschiedsleerfahrt der beiden 151 ausgelassen, um rechtzeitig für den letzten haltenden Personenzug am alten Bahnhof in Heigenbrücken zu sein.
Während der Weg über einen in den letzten Jahrzehnten „gewachsenen“ Pfad auf den Schwarzkopftunnel führt, verlässt zum letzten Mal 425 028 als RB 15278 nach Aschaffenburg Hbf ebendieses Bauwerk. Es ist das letzte Mal, dass ein Triebzug der Baureihe 425 die Strecke befahren wird. Die Uhr zeigt 10.09 Uhr – nur noch etwas weniger als zwei Stunden bis zur endgültigen Stilllegung.
Da einer der Schleichwege durch das Unterholz mittlerweile mit blühendem Fingerhut übersät ist, müssen für die restliche Strecke die offiziellen Waldwirtschaftswege genutzt werden. Während sich der Weg durch den Schatten der Bäume schlängelt, sind die beiden Schubloks aus Richtung Laufach zu hören. Sie fahren gerade die Rampe empor – natürlich mit dem obligatorischen Pfiff, wann immer ein Fotograf oder Filmer zu erkennen ist. Dies ist der Beginn des schon erwähnten, „internen Events“ der Laufacher Lokführer.
Die Fahrt der beiden nun vorerst arbeitslosen Schubloks führt dabei zunächst – wie später einige dabei gewesene Fotografen berichten werden – durch den Tunnel bis in den Bahnhof Heigenbrücken. Dies kam im normalen Schubbetrieb nur selten vor. Von dort geht es als Rangierfahrt zurück in das Seitengleis nach Heigenbrücken West. Von dort wird nach einer kurzen Fotopause bis vor den Schwarzkopftunnel vorgezogen, wo erneut Fotos angefertigt werden können. Passenderweise rollt zu diesem Zeitpunkt auch ein IC vorbei in Richtung Laufach. Nach einem kurzen Aufenthalt führt die Fahrt zum endgültig letzten Mal – wieder mit einem langgezogenen Pfiff, den man noch bis hoch auf die Spitze des Schwarzkopfes hörte – die Rampe hinab nach Laufach und weiter Richtung Frankfurt (Main). Damit befuhr zum endgültig letzten Mal auch eine Lok der Baureihe 151 die Spessartrampe.
Gegen 10.45 Uhr ist der alte Bahnhof Heigenbrücken erreicht. Auf dem Hausbahnsteig im Bereich des Empfangsgebäudes sind schon einige Schaulustige und auch Fotografen eingetroffen. Auf der Straßenbrücke über die westlichen Ausfahrgleise haben sich einige Heigenbrückener im Schutz der Schatten spendenden Bäume mit Kühltasche und Klappstuhl eingerichtet und genießen den „Sturm vor der Ruhe“ mit einem kühlen Bier.
Da die bevorstehende Außerbetriebnahme der Strecke bereits ihre Schatten voraus wirft – es ist nur noch etwas mehr als eine Stunde –, sind eigentlich keine Güterzüge mehr zu erwarten.
Da der Zug nur recht langsam fährt, wird es in etwa zwei Minuten dauern, bis er den Bahnhof vollständig verlassen hat.
Aus dem Tunnel ist ein in Richtung Würzburg Hbf fahrender Zug zu vernehmen. Die Personen auf dem Hausbahnsteig schauen bereits interessiert in diese Richtung.
Für die nun noch folgenden letzten Züge steht ein letzter Wechsel auf die Brücke über der westlichen Ausfahrt an. Von hieraus sollen die letzten Züge auf der Strecke dokumentiert werden.
Doch bevor die Strecke endgültig stillgelegt werden wird, läuft der Betrieb in der noch verbleibenden Zeit bis 12:00 Uhr wie üblich weiter.
Mittlerweile sind auch die ersten Arbeiter der zuständigen LST-Abteilung angekommen. Sie räumen einige Utensilien aus dem Stellwerk und dem angrenzenden Technikgebäude aus, hauptsächlich Werkzeug, Unterlagen und einzelne Möbel. Die Vorbereitungen zur Außerbetriebnahme sind bei noch laufendem Betrieb damit bereits in vollem Gange.
Doch dies ist nicht der endgültig letzte Güterzug auf der Strecke.
Es geht nun gefühlt erneut Schlag auf Schlag mit den letzten noch anstehenden Zügen, die Zeit drängt, die Arbeiten sollen pünktlich beginnen. Die neue Strecke muss binnen dreieinhalb Tagen an das bestehende Netz angeschlossen werden, jede mögliche Verzögerung kostet zusätzliches Geld.
Unterdessen wartet der letzte Regionalzug Richtung Würzburg Hbf bereits vor dem Schwarzkopftunnel auf die Einfahrt. Eigentlich hätte er bereits um 11.28 Uhr abfahren sollen.
Es verbleiben nur noch 30 Minuten bis zur Stilllegung.
Schlussendlich kündigt der Fahrdienstleiter per Lautsprecheransage die Einfahrt des letzten RE Richtung Aschaffenburg Hbf an.
Der letzte Regionalexpress ist weg, die Fotografen bleiben. Der ICE Richtung Würzburg steht jedoch noch aus – er hat Verspätung und verzögert so die Sperrung der Strecke. Mittlerweile sind noch mehr Bauarbeiter eingetroffen und warten auf die Freigabe zum Beginn der Arbeiten. Doch sie werden sich noch ein wenig gedulden müssen. Von der Brücke aus ist auf dem Hausbahnsteig auch der Fotograf mit dem Transparent zu erkennen, der wenige Stunden zuvor noch vor dem westlichen Tunnelportal anzutreffen war. Sein Transparent hat er ebenfalls dabei.
Um 11:44 Uhr dann die Durchsage des Fahrdienstleiters: „Es kommt jetzt ICE 621 (ausgesprochen sechs einundzwanzig) durch Gleis 3. Das ist der letzte Zug über die Spessartrampe. Ich wiederhole: Letzter Zug über die Spessartrampe: ICE 621 (Aussprache wie vorstehend), Gleis 3“. Hektisches Treiben setzt ein, keiner will etwas verpassen. Kaum jemand spricht, nur die auf der Brücke hin- und herfahrenden Autos sind deutlich zu vernehmen. Dann durchschneidet um 11:45 Uhr ein aus dem Tal kommender Pfiff die Ruhe wie ein scharfes Messer. Neugierig wandern die Blicke in Richtung Tunnel. Doch der letzte Zug, der jemals die Spessartrampe befahren wird, befindet sich erst kurz vor dem Schwarzkopftunnel. Der Pfiff verstummt nicht und wird stetig lauter. Einige Autofahrer bleiben auf der Brücke stehen ob des Lärms und der zahlreichen Anwesenden. Schließlich fährt 403 028 „Aachen“ als ICE 621 von Essen Hbf nach Nürnberg Hbf in den Schwarzkopftunnel ein.
Dann ist es still. Einige der Anwesenden sind der Meinung, dass noch eine Regionalbahn aus Aschaffenburg kommt – doch diese Angabe im elektronischen Auskunftssystem der Bahn ist falsch, wie man den Baustellenbroschüren bereits Tage vorher entnehmen konnte. Tatsächlich ist ICE 621 der allerletzte Zug über die Strecke gewesen – und er beendet den über 163 Jahre andauernden Betrieb über die Spessartrampe.
Nachdem ICE 621 den Bahnhof verlassen hat, beginnen im Stellwerk umgehend die organisatorischen Arbeiten zur Streckensperrung und zur Betriebsübergabe. Sie werden fast eine Stunde in Anspruch nehmen. Das Gleis Wiesthal – Heigenbrücken (Richtung Aschaffenburg – Frankfurt) wird um 11:54 Uhr gesperrt und zum Baugleis erklärt, das Gleis in die Gegenrichtung vier Minuten später um 11:58 Uhr. Mit 12:01 Uhr erfolgt dies auch für die Bahnhofsgleise in Wiesthal und Heigenbrücken. Damit ist die Stilllegung vollständig. Kurze Zeit später wird auch die Oberleitung stromlos geschaltet. Um 12:15 rollen bereits die ersten Bagger auf den Gleisen. Bereits mit Sperrung der Gleise in Heigenbrücken sind kurz nach 12:00 Uhr einige DB-Mitarbeiter zwischen dem östlichen Tunnelportal und dem Heigenbrückener Bahnhof mit ersten Arbeiten an den Weichen im Einfahrbereich beschäftigt. Beispielsweise wurden einige Kleinteile demontiert, welche u. a. als Ersatzteile weiterverwendet werden sollen.
Im Stellwerk ist auf dem Wandkalender der heutige 15. Juni mit einem dicken roten Kreis markiert. Nachdem die Sperrung vollständig ist, begannen auch die ersten vorbereitenden Arbeiten zum Abbau der Stellwerksanlagen. Um 12:45 Uhr meldet der Vorarbeiter der LST-Mannschaft: „Wir stellen jetzt ab, es kann gleich laut werden, bimmeln, summen, was auch immer.“ Durch die zum Bahnsteig hin offen stehende Tür zum Bedienraum wird wenig später klar, was er damit meint: Die beiden Stelltische für den Bahnhof Heigenbrücken und den Bahnhof Wiesthal geben sämtliche akustischen und optischen Warn- und Hinweissignale von sich, die möglich sind. Gleichzeitig erlöschen auch die Signale, wenig später verstummt und erlischt auch der Stelltisch. Der Fahrdienstleiter löscht die letzten verbliebenen Zugnummern in den Tischfeldern. Um 12:47 Uhr ergeht die Meldung an die benachbarten Stellen: „Stellwerk dunkel“. An die entsprechenden Ansprechpartner der Bautrupps vor Ort wird durchgegeben: „Bitte selbst auf die Weichenlage achten, ich sehe nicht mehr, wie’s draußen aussieht“. Das Stellwerkspersonal sowie der vor Ort eingesetzte Aufsichtsbeamte müssen an diesem Tag noch bis 18:00 Uhr ausharren – obwohl kein Zugverkehr mehr stattfindet. Trotz der Streckenstilllegung wurden die Dienste nicht gekürzt. Die Zeit wird stattdessen zum Ausräumen der Diensträume genutzt.
Die Stimmung im Bahnhofsbereich, nachdem der letzte Zug durchgefahren ist und auch die Signale endgültig dunkel sind, ist schwer zu beschreiben. Die Schaulustigen verlassen den Bahnhof, einige direkt nach der Durchfahrt des letzten Zuges, andere lassen sich mehr Zeit, wieder andere schlendern gedankenverloren um das Empfangsgebäude herum. Einer der Anwesenden beschreibt die Situation als „surreal“, was wohl am ehesten zutrifft. „Man kann sich gar nicht vorstellen, dass hier nie mehr Züge fahren“, meint er noch. Damit hat er Recht. Noch kann man sich das nicht vorstellen. Doch man wird sich daran gewöhnen und im Hinterkopf behalten, dass man ein solches, historisch betrachtet selten vorkommendes Ereignis miterleben durfte.
Die Wanderung führt unterdessen wieder zurück nach Laufach, von wo aus mit dem Bus wieder Aschaffenburg erreicht werden soll.
Der Weg zurück nach Laufach führt – ähnlich wie der Hinweg – erneut parallel zur Strecke. Einziger Unterschied ist diesmal jedoch, dass keine Züge mehr auf der alten Strecke fahren – dementsprechend ruhig ist es. Zu Betriebszeiten waren stets die auf der Rampe berg- bzw. talwärts fahrenden Züge deutlich zu hören, auch wenn sie aufgrund der dichten Bewaldung teilweise nicht zu sehen waren.
Im einzig noch genutzten Baustellenareal entlang der Strecke schlendert verbotenerweise eine Wandergruppe herum, die die Neubaustrecke begutachtet.
Im Einmündungsbereich der Neu- in die Altbaustrecke sind dagegen die Oberleitungsarbeiten zur Anbindung der neuen Strecke bereits in vollem Gange. Auch die hier noch vorhandenen Bauweichen werden für den Ausbau vorbereitet. Am Laufacher Bahnhof selbst, es ist mittlerweile 15:45 Uhr, feiern die Cargo-Lokführer und die diensthabende Fahrdienstleiterin ein kleines Grill- und Abschiedsfest, während auf den hinteren Gleisen die alten Signale abgebaut werden. Die neuen Ks-Signale sind zu diesem Zeitpunkt bereits in Betrieb, die Herstellerfirma Siemens führt letzte Arbeiten und Tests durch. Die Schubloks wurden bereits gegen Mittag nach Frankfurt Ost gefahren – die überführenden Lokführer sind per Gastfahrt nach Laufach zurückgekehrt, um den Tag mit den Kollegen ausklingen zu lassen.
Um 16:10 Uhr endet die Wanderung mit dem Einstieg in den Linienbus Richtung Aschaffenburg. Am Hauptbahnhof, der gegen 16:45 Uhr erreicht ist, haben zeitgleich mit der Sperrung der Spessartstrecke umfangreiche Gleis- und Weichenarbeiten im östlichen Gleisvorfeld begonnen, die ebenfalls die folgenden vier Tage andauern werden.
Am 19. Juni 2017, dem darauffolgenden Montag, verlässt um 04:56 Uhr 111 197 mit RE 4591 nach Würzburg Hbf pünktlich den Aschaffenburger Hauptbahnhof. Es ist der erste planmäßige Zug aus Richtung Aschaffenburg, der die Neubaustrecke befahren wird.
Vergleichsaufnahmen
Nachfolgend sind einige Vergleiche von verschiedenen Standpunkten entlang des von der Stilllegung betroffenen Streckenabschnitts aufgeführt. Die Aufnahmen entstanden jeweils in etwa aus derselben Perspektive heraus und sollen den Zustand der Strecke in größerem zeitlichen Abstand dokumentieren. Die Überschrift gibt jeweils den Aufnahmeort an, die Daten dahinter die entsprechenden Aufnahmetage in der Reihenfolge der Fotos von links nach rechts.